Anleger vs. Analysten: Wer liegt bei Siemens Energy richtig?

Wie es an der Börse so schön heißt: „Gewinne laufen lassen“. Ein Paradebeispiel dafür ist Siemens Energy. Seit Jahresbeginn ist die Aktie um 86,7 Prozent gestiegen. Anleger trauen Siemens Energy viel zu, mehr als die Analysten. Der weltweite Energiebedarf dürfte in den kommenden Jahren durch E-Mobilität und den KI-Boom deutlich steigen. Gleichzeitig könnte Trumps neues Steuergesetz in den USA die Energiewende bremsen. Diese Analyse liefert einen Überblick.

US-Strategie

Der US-Markt hat für Siemens Energy eine große strategische Bedeutung. Rund 20 Prozent des Umsatzes entfallen auf die USA, mit weiterem Wachstumspotenzial in den kommenden Jahren.

Doch das Umfeld ist herausfordernd. Die US-Regierung befindet sich in verschiedenen Zollstreitigkeiten mit Handelspartnern weltweit, was für Unsicherheit sorgt. Siemens Energy bleibt bei neuen Projekten in den USA stark von globalen Lieferketten abhängig, hält jedoch an seiner mittel- bis langfristigen Strategie in diesem Schlüsselmarkt fest.

Ab Anfang 2027 plant Siemens Energy, im Werk in Charlotte, North Carolina, große Industrie-Leistungstransformatoren (LPT) für den US-Markt zu fertigen. Das ist bedeutsam, denn aktuell werden mehr als 80 Prozent der benötigten LPTs in die USA importiert.

Im zweiten Quartal 2025 erzielte Siemens Energy Auftragseingänge in Höhe von 14,4 Milliarden Euro und hob den Ausblick für das laufende Geschäftsjahr an.

Gleichzeitig droht jedoch Gegenwind. Donald Trumps geplantes Fiskalpaket über 3,4 Billionen US-Dollar könnte die Energiewende in den USA ausbremsen. Steuervergünstigungen für saubere Energie laufen aus, viele Wind- und Solarprojekte sind gefährdet. Das könnte sich negativ auf das Auftragsvolumen und die Profitabilität von Siemens Gamesa in den USA auswirken.

Siemens Gamesa Renewable Energy ist der Bereich für erneuerbare Energien innerhalb der Siemens Energy-Gruppe, an der Siemens Energy die Mehrheit der Anteile hält.

Zentrale Technologien

Der Energiehunger durch E-Mobilität und Künstliche Intelligenz verschafft Energie-Investments langfristigen Rückenwind. Zwar machen E-Autos und Rechenzentren derzeit noch einen vergleichsweise geringen Anteil am weltweiten Stromverbrauch aus, doch das könnte sich rasch ändern.

Im Verkehrssektor ist der Anstieg des Strombedarfs durch die Umstellung auf Elektromobilität weitgehend absehbar und planbar. Anders sieht es bei der Künstlichen Intelligenz aus. Hier steigen die Rechenanforderungen exponentiell, was das Potenzial für ein besonders dynamisches und schwer kalkulierbares Wachstum birgt.

Die Energiewirtschaft steht damit vor großen Herausforderungen. Der weltweite Strombedarf dürfte in den kommenden Jahren deutlich steigen. Das erfordert massive Investitionen in Infrastruktur, Netze und Erzeugungskapazitäten.

Unternehmen wie Siemens Energy nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein. Sie sind strategisch gut positioniert und verfügen über zentrale Technologien, um die Energiewende technisch mitzugestalten.

Kritischer Blick auf Bewertung

Siemens Energy weist ein Forward-KGV von 66,1 auf. Dieser Wert ist außergewöhnlich hoch und deutet auf sehr spezifische Markterwartungen hin. Der Markt preist bereits erhebliches zukünftiges Wachstum ein. Anleger sind manchmal bereit, für Unternehmen mit einer besonders starken Wettbewerbsposition oder einem einzigartigen Produkt, das langfristig hohe Margen verspricht, einen entsprechend hohen Preis zu zahlen. Auch wenn die aktuellen Gewinne noch vergleichsweise moderat ausfallen.

Siemens Energy ist bislang nicht nachhaltig profitabel, allerdings war die operative Marge in den letzten beiden Quartalen positiv. Im ersten Quartal lag sie bei 4,6 Prozent.

Anleger scheinen davon überzeugt zu sein, dass das Potenzial des Unternehmens von Analysten bislang unterschätzt wird. Ob der deutliche Kursanstieg gerechtfertigt ist und es zu Aufwärtsrevisionen in den Einschätzungen kommt, dürfte sich bald zeigen. Am 6. August präsentiert Siemens Energy die Zahlen für das zweite Quartal sowie den neuen Ausblick.

Fortgeschrittene Aufwärtsbewegung

Die Aktie von Siemens Energy liegt seit Jahresbeginn 86,7 Prozent im Plus, auf Sicht von drei Jahren sogar 563,1 Prozent. In der vergangenen Woche wurde die 100-Euro-Marke beinahe erreicht, bei 98,85 Euro drehte der Kurs jedoch und schloss unter dem Hoch der Vorwoche. Ein klassischer kurzfristiger Fehlausbruch. In dieser Woche verzeichnet die Aktie einen leichten Anstieg von 1,3 Prozent.

Damit wurde der jüngste Aufwärtsimpuls zumindest unterbrochen. Der RSI signalisiert seit über zwei Monaten einen überkauften Markt und notiert aktuell bei 74,5. Zudem zeigt sich eine bärische Divergenz (blaue Linien). Das bedeutet nicht zwangsläufig einen bevorstehenden Einbruch, deutet jedoch auf ein erhöhtes Korrekturpotenzial hin. Die fundamentale Story bleibt intakt, dennoch könnte die Aktie in einem solchen Umfeld sensibler auf negative Nachrichten reagieren.

Das Risiko steigt, wenn die hohen Erwartungen nicht erfüllt werden. Anleger sollten sich daher insbesondere zwei zentrale Unterstützungszonen, sogenannte Fair Value Gaps, markieren. Der erste Bereich liegt zwischen 89,31 und 89,56 Euro, der zweite zwischen 76,55 und 82,40 Euro.

Siemens Energy im Wochenchart. Quelle: eToro

Langfristiger Rückenwind

Während die langfristige Story aufgrund des global steigenden Energiebedarfs intakt bleibt und Siemens Energy strategisch gut positioniert ist, mahnen die hohe Bewertung und technische Indikatoren kurzfristig zur Vorsicht. Die Veröffentlichung der Zahlen für das zweite Quartal am 6. August sowie der neue Ausblick werden entscheidend sein, um zu beurteilen, ob die hohe Bewertung gerechtfertigt ist.

Die Auswirkungen der US-Politik und der Verlauf der globalen Energiewende müssen weiterhin aufmerksam beobachtet und in die Risikobewertung einbezogen werden. Siemens Energy versucht, diese Risiken unter anderem durch den Ausbau von US-Produktionskapazitäten abzufedern.

Kurzfristige technische Korrekturen sind nicht nur unvermeidlich, sondern auch ein Zeichen von Marktgesundheit, insbesondere nach Phasen starker Kursanstiege. Sollten Analysten in den nächsten Monaten ihre Gewinnerwartungen nach oben anpassen, könnte dies der Rally mehr Stabilität verleihen.

 

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